Wenn ich mich an den Anfang dieses Jahres zurückerinnere, dann habe ich das Gefühl, dass das ein anderes Jahr war. So unendlich viel hat sich seitdem verändert und bewegt. Und trotzdem muss ich nur meine Spotify 2021 Playlist hören und fühle mich augenblicklich zurückversetzt.
Zurück in den Januar. Zurück auf die Kanaren. Zurück auf Gran Canaria. Zum allerersten Mal habe ich Silvester in einem anderen Land, im Warmen verbracht. Ich würde jetzt gerne erzählen, dass es ein tolles Silvester war. Kann ich aber nicht. Mein Herz war gerade von einem Engländer gebrochen worden und ich fühlte mich irgendwie ziemlich verloren.
Zwei Wochen später war das schon wieder völlig anders. In Las Palmas auf Gran Canaria kam ich dann so richtig an. Ganze fünf Wochen blieb ich dort. Ich schloss Freundschaften, ging nach der Arbeit surfen und liebte es im Hostel zu wohnen. In diesen fünf Wochen habe ich erneut mein Herz verloren. An Gran Canaria, an gemeinsam leben, an die Freiheit. So kam es dann auch Anfang Februar zu der verrückten Entscheidung, meinen Job an den Nagel zu hängen und ohne Plan die Freiheit zu erleben.
Ich flog nach Hause, kündigte meine Wohnung und bereitete mich darauf vor, ab Mai ohne Wohnung zu leben. Was war das für eine emotionale Zeit! Jeder Gegenstand in der Wohnung wurde überprüft und das allermeiste verkauft und verschenkt. Auto, Bücher, Möbel. Alles weg. Meine Emotionen sprangen zwischen Vorfreude, Angst und Melancholie umher. Kaum ein Tag, an dem ich nicht in Tränen ausbrach. Mit dem richtigen Soundtrack ist die Gänsehaut sofort wieder zurück. Nach und nach wurde die Wohnung immer leerer. Ich traf mich die letzten Male mit meinen Freunden in Frankfurt. Und dann war es so weit: Mit einem Opel Corsa fuhr ich nach Hamburg zu meinen Eltern und alles, was ich noch besaß, befand sich in diesem Auto.
Im Mai lebte ich zur Hälfte auf Sofas von Freunden in verschiedenen Stadtteilen von Frankfurt und die andere Hälfte auf Teneriffa. Zurück auf den Kanaren, endlich. Strände, Berge, Wälder und natürlich der Atlantik. Das war nun meine vierte Insel und meine Begeisterung für die Kanaren stieg noch weiter. Bereits auf Gran Canaria hatte ich den Entschluss gefasst, mir am Handgelenk eine Sonne als Tattoo stechen zu lassen. Als Erinnerung an die wundervolle Zeit, an all die angestoßenen Veränderungen und als Symbol nie aufzuhören an mich zu glauben. Das war der Beginn meines nahezu endlosen Sommers.
Der Juni kam und ich zog in ein WG-Zimmer in einem Studentenwohnheim in Flensburg. Und ich verlor schon wieder mein Herz. An die langen Tage, an den vielen Sonnenschein, die hübschen Straßen und den Hafen mit all den Segelbooten. Fast täglich machte ich einen Spaziergang zum Hafen. Nach ein paar Tagen fühlte ich mich auch in meinem Zimmer richtig wohl.
Spontan buchte ich einen Segelkurs auf einem kleinen Folkeboot für eine Woche. Bei fast nur Sonnenschein lernte ich das Segeln von Grund auf und fühlte mich endlich sicher mit den Begriffen. Hinterher gab es oft noch ein gemeinsames Bier und schöne Gespräche. Ende Juni stand dann endlich meine Praxiswoche für den SKS (Sportküstenschifferschein) an. Bei ebenfalls wundervollem Wetter wurde gemeinsam mit einer wundervollen Crew täglich geübt, ohne dass der Spaß zu kurz kam. Wir alle bestanden die Prüfung. Das Herz voll vom Segeln buchte ich direkt weitere Törns.
Juli. Vier unglaubliche Wochen. Die ersten zwei bin ich ohne Plan durch Dänemark und Schweden gereist. Kopenhagen, Malmö, Göteborg. Kanufahren und wandern bei schönstem Sommerwetter und schlimmstem Sommerwetter in Dalsland. Viele tolle Gespräche. Verloren fühlen, gescheiterte Pläne, schöne Alternativen, Stolz. Die Abreise fiel mir unendlich schwer, aber es standen ein kurzer Zwischenstopp in Flensburg und Frankfurt an.
Von dort aus ging es nach Bari, in den Süden Italiens. Zwei Wochen lang segelte ich die italienische Adriaküste entlang bis nach Venedig. Mit zwei fremden Männern, die unterwegs Freunde wurden. Ich erlebte meine ersten Nachtfahrten, das ein oder andere Schaukeln und die pure Freiheit. Mehr darüber und meine Gedanken und Gefühle gibt es hier zu lesen.
Plötzlich war es schon August. Der Juli war nur so dahin gerauscht. Ich flog auf die andere Seite der Küste hinüber und ging an Bord eines weiteren Segelboots auf Sardinien. Drei Jungs und ich. Einer davon mit den schönsten blauen Augen und dem schrecklichsten Bart überhaupt. Ab dem zweiten Tag gab es ein „wir“. Zehn Tage lang fuhren wir gemütlich an der Küste entlang, gingen schwimmen, sonnten uns und genossen das Leben.
Nach über drei Wochen nur auf Booten lockte mich fester Boden unter den Füßen. Zufälligerweise kommt Michael aus Österreich und hatte dort auch noch einen ausgebauten Van stehen. Er lud mich ein und so flogen wir spontan gemeinsam nach Wien und von dort aus mit dem Zug zu seinem Van. Wir brachen auf in Richtung Slowenien. Auf der Großglockner Hochalpenstraße verbrachten wir eine Nacht unter einem grandiosen Sternenhimmel mit unzähligen Sternschnuppen. Wir gingen wandern und beschlossen in Slowenien doch den Triglav zu besteigen (eine eigene Geschichte). Eine leider viel zu kurze, jedoch wunderschöne Zeit.#
Michael flog zurück nach Sardinien, für mich ging es nach Mallorca. Eine Woche segeln um Ibiza und Formentera herum. Meer, Sonnenschein, Cocktails. Nach meinem Adria-Törn hatte es nicht mehr ganz den Reiz von früher, eine schöne Woche war es jedoch trotzdem. Dort durfte ich das erste Mal ankern und war unendlich stolz darauf. Von Mallorca ging es eine Woche später ebenfalls zurück nach Sardinien und erneut gab es eine Woche, die primär aus schwimmen, sonnen und kuscheln bestand.
So langsam wurde ich müde vom vielen hin und her fliegen. Ursprünglich wollte ich gar nicht fliegen und auf einmal flog ich jede Woche woanders hin. Das fing ganz langsam an mich zu stressen. Dieses Mal ging es von Sardinien über Wien nach Kroatien. Witzigerweise hatten Michael und ich in derselben Woche dort Segeltörns geplant. Er mit der Familie, ich als Skippertraining. Dies war leider ein Segeltörn, der mich mehr enttäuscht als begeistert hat. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass wir viel zu wenig geübt haben. Gefeiert wurde dafür umso mehr und das gemeinsam mit vielen anderen Booten.
Drei Tage bei Plitvicer Seen im Landesinneren von Kroatien halfen darüber hinweg. Nach fast vier Monaten Sommer taten diese Tage mit kühleren Nächten und ersten Herbsttagen sehr gut. Es war schließlich schon September und mein Körper sehnte sich nach Herbst. Hier sahen Michael und ich uns vorerst das letzte Mal für fünf lange Wochen. Das war ungefähr so lange wie wir uns überhaupt erst kannten. Aber jeder hatte seine eigenen Pläne und es war schön, sich auf das Wiedersehen freuen zu können.
Für mich waren diese fünf Wochen sehr lehrreich und anstrengend. Es gab natürlich auch viele schöne Momente, aber sie reichten nicht an meinen Juli heran, der die pure Freiheit war. Zwei Wochen lang ging es mit dem Mietwagen und einer Freundin quer durch Spanien. Von Barcelona über Gibraltar nach Madrid. Sightseeing, wandern, am Strand liegen. Jede Nacht waren wir woanders. Und auch wenn es überall schön war, so erschöpfte mich das Reisetempo letztendlich und meine Motivation rutschte immer weiter in den Keller.
So verbrachte ich meine darauf folgenden vier Tage in Split, Kroatien, fast ausschließlich im Hostel Zimmer in meinem Bett. Ich las, schrieb, regelte Dinge und regenerierte mich etwas. Die Skipper Academy von Join the Crew stand an und das Ziel meines Sommers, auf das ich seit Juni hingearbeitet hatte: Skipper bei Join the Crew werden. Mittlerweile war der Oktober da und mit ihm auch das Herbstwetter in Kroatien. Ich hatte eine der härtesten Wochen dieses Jahres.
Segel technisch und mental wurde ich an meine Grenzen und darüber hinaus gebracht. Abwechselnd war ich stolz auf mich und versagte vollkommen. Wettertechnisch war von Sturm über Regen alles dabei, während meine Kleidung noch auf Sommer eingestellt war.
Am Ende der Woche durchzufallen war ein harter Schlag, von dem ich mich lange erholen musste. Nicht hilfreich war die anschließende Woche, in der ich Regatta Segeln gebucht hatte und schon wieder an meine Grenzen kam. Schlussendlich war ich am Ende etwas froh, das Kapitel Kroatien und Join the Crew für dieses Jahr abschließen zu können. Ich musste meinen Kopf wieder freibekommen, Abstand gewinnen.
Mit dem Bus fuhr ich knappe24 Stunden bis nach Frankfurt, um von dort aus in die Türkei weiterzufliegen. Die Stunden in Frankfurt haben sich ein bisschen nach zu Hause angefühlt und es war schön, das ganze mit dem Wiedersehen einer Freundin verbinden zu können. Nun dauerte es nicht mehr lang bis zum Wiedersehen mit Michael. Zwei Tage verbrachte ich in der Türkei im Hostel und erkundete die Umgebung gemeinsam mit einer lieben Reisebekanntschaft. Meine Reiselust war endlich wieder zurück und die Türkei überraschte und begeisterte mich gleichermaßen. Am Abend vor dem Eintreffen Michaels war ich ein Nervenbündel, später in seinen Armen war die Welt dann zum Glück wieder in Ordnung. Wir genossen einen faulen Tag im Bett miteinander, bevor es in die letzte Segelwoche des Jahres ging.
Trotz fehlenden Windes und einem Tag Fieber bei mir erlebten wir eine angenehme Woche in toller Gesellschaft. Nach dem Herbst in Kroatien taten die 20 Grad und Sonnenschein wahnsinnig gut. Wir spielten viele Spiele und ließen die Seele baumeln. Nach diesen letzten Sommertagen brachte uns der ebenfalls letzte Flug für dieses Jahr nach Österreich, wo der November startete.
Eine knappe Woche verbrachten wir bei Michaels Eltern. Es wurde Wäsche gewaschen, der Van ausgeräumt, geputzt und neu eingeräumt und aufgerüstet. Ich durfte den Großteil von Michaels Freunden kennenlernen und in einem breiten Bett schlafen. Trotz viel Arbeit fand ich diese Woche sehr entspannend und freute mich auf die nächsten sechs Wochen. Bis Weihnachten wollten wir mit dem Van durch Schweden fahren.
Nach einem Zwischenstopp bei meinen Eltern in Hamburg fuhren wir dann über Travemünde mit der Fähre nach Trelleborg. Die ersten Tage erlebten wir Schweden im Herbst, mit Waschen im See und Laufen im Wald. Schweden ist so wunderschön, selbst im November. Dann kam der erste Schnee und alles wurde weiß. Und es blieb weiß für die nächsten Wochen. Wir fuhren über die Grenze bis nach Norwegen und dort immer weiter in Richtung Norden. Es wurde weißer und kälter und das Leben umständlicher, aber es wurde auch immer schöner. Wir erreichten das Nordkap und die Gefühle in mir sprudelten über. Wie unglaublich und verrückt und wundervoll war es, im Winter bei Schneesturm bis ans Nordkap zu fahren?
Über Finnland ging es langsam wieder in Richtung Süden. Selbst diese sechs Wochen waren immer noch zu kurz und ließen zu wenig Zeit für langsames Reisen. Wir nahmen uns vor, auf jeden Fall wiederzukommen. Kurz vor Weihnachten waren wir zurück in Österreich, wo es leider keinen Schnee mehr für uns gab. Dafür schöne Weihnachtstage mit Michaels Familie.
Und jetzt? Jetzt sitze ich gerade in der Schweiz in einem leicht heruntergekommenen Hotelzimmer auf dem Fußboden und tippe diese Zeilen. Am 26. Dezember sind wir abends hier angekommen und hatten am 27. Dezember direkt unseren ersten Arbeitstag. Richtig, wir sind hier zum Arbeiten. Eine Saison lang schuften, gutes Geld verdienen und dann hoffentlich wieder den ganzen Sommer reisen. Mein Arbeitsplatz liegt in luftiger Höhe von 1900 Metern. In einem Selbstbedienungsrestaurant stehe ich an der Kasse. Tische wischen und Toiletten putzen gehört ebenfalls zu meinen Aufgaben.
Ungewohnt, nach so langer Zeit wieder Vollzeit zu arbeiten. Aber ich brauche das Geld und ich freue mich darauf, den Winter in der Schweiz zu verbringen und endlich wieder Skifahren zu gehen.
Wer weiß, wo mich das nächste Jahr hinführt und was es für mich bereithält. Zu 2021 sage ich: „Dankeschön für diese unglaubliche Zeit“.