Kennt ihr dieses Gefühl, das sich einstellt, kurz bevor ihr etwas ändert? Dieses Gefühl, dass euch aufzeigen will, wie schön doch alles aktuell gerade ist und die Veränderung absurd erscheinen lässt? Bei mir ist das sehr ausgeprägt. Das beste Beispiel ist immer ein Frisörbesuch. Seit Wochen bin ich unzufrieden mit meinen Haaren und habe das dringende Bedürfnis etwas zu verändern. Also vereinbare ich einen Termin beim Frisör. Ich male mir aus, wie gut ich danach aussehen werde und wie wohl ich mich mit meinen kürzeren Haaren fühlen werde. Wenn der Tag dann gekommen ist, fällt es mir plötzlich schwer mich zu erinnern, warum ich es für eine gute Idee gehalten habe. Ich schaue mich im Spiegel an, immer wieder, und hänge plötzlich ganz furchtbar an meiner jetzigen Frisur, meiner Haarlänge. Der Ist-Zustand, der mich eigentlich nicht zufrieden stellt, aber aus Angst vor der bevorstehenden Änderung auf einmal zur unerreichbaren Perfektion anwächst. Trotzdem sage ich meine Frisörtermine nicht ab, denn zum Glück weiß ich, wie unglaublich gut ich mich hinterher immer fühle. Wenn die Haare ab sind und ich keine Angst mehr davor haben muss, sie loszulassen zu müssen.
Nun habe ich jedoch nicht vor, meine Haare ein paar Zentimeter kürzer schneiden zu lassen. Stattdessen ist mein Ziel, ein paar Monate ohne feste Wohnung und ohne Job herauszufinden, was ich vom Leben will. Und im Gegensatz zum Frisörbesuch ist das kein Ereignis, das mehrfach pro Jahr stattfindet und mit dem ich Erfahrung habe. Das Gefühl jedoch kommt mir sehr bekannt vor. Meine Wohnung kommt mir noch viel schöner vor, jede Straße und jeder Baum dieser Stadt wecken Erinnerungen und das Treffen mit Freunden lässt mir schmerzlich klar werden, was bald nicht mehr so einfach möglich sein wird. Kurzum, ich sehe besonders die schönen Dinge, und gerade in diesen Momenten, wo alles perfekt scheint, kommt mir meine Idee absurd vor.
Das Gute ist, dass mich das nicht überrascht. Und dass ich dieses Gefühl mittlerweile da einordnen kann, wo es hingehört. In die Kategorie: Angst vor dem Loslassen. Es gibt hauptsächlich drei Faktoren, die mir helfen die Angst als solche zu erkennen und ihr nicht zu viel Macht zu verleihen:
1. In meinen Augen scheint zwar gerade vieles besonders schön zu sein, nicht aber mein Job. Ich zweifle vielleicht daran, ob es richtig ist, keinen Job zu haben. Aber ich zweifle nicht daran, dass es richtig war, diesen Job zu kündigen. Ich fühle mich einfach nicht gut damit. Er stresst mich, er macht mich unzufrieden, er zieht mich runter.
2. Meine Frisörbesuch-Metapher. Ich habe zwar keine Erfahrung mit solch weitreichenden Veränderungen, aber ich greife einfach auf Erfahrungen aus anderen Bereichen zurück. Vielleicht ist der Unterschied zwischen dem Frisörbesuch und meinem jetzigen Abenteuer gar nicht so groß. Vielleicht habe ich mehr Angst vor dem Loslassen als notwendig. Ich rechne einfach mal damit, dass ich mich nach dem Loslassen genauso befreit fühle wie nach einem Haarschnitt, nur eben im größeren Kontext. Wissen kann ich es nicht, aber was ist schon sicher im Leben?
3. Wenn ich die Veränderung jetzt nicht vornehme, dann werde ich mich weiterhin fragen, wie es wohl wäre. Selbst wenn es stimmt, und mein Herz nur in Frankfurt zuhause ist, so muss ich diesen Schritt wagen, um es herauszufinden. Und das lieber früher als später.
Das alles fällt mir nicht einfach, aber schon kleine Schritte haben mir gezeigt, dass dieser Weg funktionieren kann. Mittlerweile habe ich ein paar kleinere Gegenstände aus meiner Wohnung weggeben oder verkauft. Kurz davor war ich manchmal traurig, aber jetzt fühlt es sich gut an. Ich fühle mich weniger abhängig von meiner persönlichen Verbundenheit zu diesen Gegenständen, ich fühle mich freier und bin stolz auf mich, einen weiteren kleinen Schritt in Richtung Abenteuer gegangen zu sein. Der bisher größte Schritt nach den Kündigungen war das Verkaufen meines Autos. Ich habe nicht lange gezögert, sondern es so schnell wie möglich hinter mich gebracht. 7,5 Jahre hat es mich begleitet: Durch das Ende der Schulzeit, mein Studium, meinen Umzug nach Frankfurt. All diese Erinnerungen gingen auf der Fahrt zum Verkauf durch meinen Kopf. Nichts davon war auf dem Rückweg, den ich dann zu Fuß bewältigt habe, noch wichtig. Im Gegenteil, da war eine Leichtigkeit und die Zufriedenheit darüber, eine kleine Wanderung durch Frankfurt unternehmen zu können.
Wie ich mit der Angst vor dem Loslassen aktuell also umgehe? Ich lächle ihr entgegen, während die Tränen aus meinen Augen kullern. Während ich um das weine, was ich glaube zu verlieren, denke ich an das Gefühl, das sich nach dem Loslassen vermutlich einstellen wird. Und vor allem lasse ich das Gefühl zu. Ich darf Angst haben. Ich darf traurig sein. Ich darf meine Wohnung, meine Stadt, meine Abende mit Freunden vermissen. Denn das zeigt mir, dass ich nicht nur von etwas weglaufe, sondern vor allem auf etwas zu. Dass ich nicht alles hinter mir lasse, weil es schlecht ist, sondern primär um Raum für Neues zu schaffen. Dass es es nicht nur schwarz und weiß, richtig und falsch gibt, sondern eine riesige Palette an Gefühlen dazwischen. Und all das und noch viel mehr kann ich auf meiner Reise lernen und erleben.