Wanderrucksack

Serie: Megamarsch München 2018 – Der große Tag

Samstag, 12.05.2018 (Geburtstag!!!):

Um die große Frage vorweg zu nehmen – ich habe es nicht geschafft und doch jede Menge erreicht.

9 Uhr morgens: Ich sitze beim Frühstück und irgendwie will ich nicht so richtig etwas essen. Am Abend vorher fing Aufregung an, als ich alle wichtigen Sachen vor mir ausgebreitet habe um sie heute morgen einzupacken. Ich weiß, ich sollte ordentlich frühstücken, aber meine Aufregung lässt es nicht zu. Später, sage ich mir, später im Biergarten esse ich noch etwas.

Der Vormittag zieht an mir vorbei, ich denke immer wieder über meine Vorbereitung und meine Ausrüstung nach, lese mich durch Facebook Beiträge zum bevorstehenden Marsch. Dann in der U-Bahn treffen wir die erste Teilnehmerin. Wir kommen ins Gespräch und legen den Weg zum Startpunkt gemeinsam zurück, wollen auch gemeinsam starten. Im Biergarten so viele Teilnehmer: Wanderschuhe, Turnschuhe, große Rucksäcke, kleine Rucksäcke. Jeder ist anders gekleidet und anders ausgerüstet und ich versuche meine Nerven zu beruhigen dass meine Ausrüstung ebenfalls geeignet ist. Das Essen fällt erneut sehr kläglich aus, die Aufregung ist einfach zu groß. Auf einmal nur noch eine Stunde bis zum Start. Nochmal die Toilette aufsuchen, Füße mit Hirschtalg einreiben, Sonnencreme ins Gesicht. Schweren Herzens meinen Liebsten verabschieden.

15:30 Uhr: Wir reihen uns in die wartenden Teilnehmer am Start ein. Eine Spannung liegt in der Luft, Nervosität gepaart mit Vorfreude. Angst kämpft mit der Zuversicht. Die Minuten vergehen. Beim Eintritt in den Startbereich wird kräftig gedrängelt. Jeder will endlich losgehen. Und dann wird runter gezählt:

10

9

8

7

6

5

4

3

2

1

Und los geht es, begleitet von Trommeln. So bedeutend und nebenbei eigentlich unspektakulär, den gegangen sind wir ja auch schon auf dem Weg hierher.

16:15 Uhr: Wir folgen der Isar, genießen die Natur, Idylle und Ruhe. Trotz vieler Menschen ist es weitgehend ruhig. Ein bisschen fühlt es sich an wie Urlaub, Menschen sonnen sich am Ufer, wir gehen weiter. Wir haben einen zügigen Schritt drauf, mir eigentlich zu zügig, aber ich will jetzt nicht alleine gehen, also passe ich mich an. Die ersten 20 Kilometern gehen recht flüssig, obwohl ich schon wieder ein Scheuern an meinen Fersen spüre. Die letzten 3 Kilometer zur Verpflegungsstation ziehen sich. Als wir ankommen bin ich unendlich erschöpft.

20:30 Uhr: Ich esse etwas, ich bin richtig ausgehungert und das Essen gibt mir Energie. Ich versorge die Blasen, fülle das Wasser auf, lausche den Gesprächen der anderen. Meine Begleitung geht weiter, ich ruhe mich noch etwas aus. Ich entschließe mich, die Schuhe zu wechseln. Die Sonne geht unter, jetzt heißt es vorbereiten auf die Nacht: Jacke an, Stirnlampe aus dem Rucksack holen, Magnesium und Ibuprofen einwerfen. Noch einmal schnell das Dixi Klo besuchen und dann geht es alleine weiter.

21 Uhr: Die nächste Etappe sind nur 15 Kilometer. In meinen leichten Schuhen geht es sich besser, die Füße werden wieder fitter. Das Tempo bleibt weiter zügig, weil es sich jetzt gut anfühlt. Es wird immer dunkler, langsam zeigt sich die Nacht. Der Himmel ist sternenklar und die Luft noch warm. Ein schöner Abend, an dem die Grillen zirpen und die Menschen grillen. Nur wir nicht, wir gehen weiter. Ich halte mich hier und da an Gruppen, bleibe jedoch stumm und genieße es nur, nicht ganz allein zu sein. Eine Weile folge ich einer Gruppe, die laut Schlagermusik hört. Das gibt richtig Energie und ich hänge mich dran, obwohl sie schnell gehen. Ehe ich mich verstehe, bin ich an der nächsten Station. 37 Kilometer geschafft und ich bin richtig fit. Es gibt nur schnell eine Banane im Stehen, dann geht es weiter. Jetzt bloß nicht gemütlich hinsetzen und müde werden.

23:45 Uhr: Seit längerer Zeit ist es stockdunkel und die Gruppen verteilen sich immer mehr. Alleine weitergehen traue ich mir jetzt nicht mehr zu. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich schließe mich 2 Mädels an, die schon auf der ersten Etappe immer vor mir gegangen sind, werde herzlich aufgenommen und wir unterhalten uns immer wieder.

1 Uhr nachts: Langsam kommt die Müdigkeit und der Blick auf die Uhr findet allzu oft statt, während wir einmal zu oft stehen bleiben und pausieren. Das Losgehen fällt dabei jedes Mal ein kleines Bisschen schwerer. Es ist stockdunkel und so ist der Weg wenig abwechslungsreich. Immer wieder geht es mal bergauf oder riecht nach Kuhstall. Die Gedanken wandern immer öfter zum Bett.

3 Uhr morgens: Wir erreichen Kilometer 52 und damit die Zwischenstation, an der es Wasser gibt. Wir haben jetzt über die Hälfte der 100 Kilometer geschafft und ich bin bereits fast 10 Kilometer weitergekommen als im Training. Ich merke die Erschöpfung, aber der Sonnenaufgang in 2 Stunden motiviert mich. Noch 15 Kilometer bis zur nächsten Station. Nach einer viel zu langen Pause brechen wir auf und gehen weiter. Es wird immer kühler, die Pausen immer öfter, das weitergehen immer schwerer. Ich suche nach Gründen, weiterzugehen, nach der Motivation. Warum wollte ich hier noch mal teilnehmen? Die Antwort lautet dauernd, dass ich ins Bett will. Meine Gedanken konzentrieren sich auf die nächste Station und eine ausgiebige Pause dort, nach der ich über alles weitere entscheiden könnte.

5:40 am Morgen: Mittlerweile ist es hell und das tut unheimlich gut. Hilft aber wenig. Ich Kämpfe mit den Tränen, ich bin erschöpft und kann mich einfach nicht mehr motivieren. Eine ganze Weile sind wir schon ‚kurz vor Kochel‘, aber der Weg ist lang. Ich ergebe mich und rufe meinen Liebsten an, um mich abzuholen. In Kochel. Um 7. Bis dahin werde ich es schaffen, und dann wartet das Bett auf mich.

6 Uhr: Auf einmal führt der Weg in den Wald und es geht bergauf. Und weiter bergauf. Über Steine und Baumwurzeln. Mir kommen immer wieder die Tränen. Alles tut mir weh, ich bin müde, ich bin erschöpft. Ich kann kaum noch mein Ziel vor Augen sehen, ich denke nur daran, wie erschöpft ich bin. Dann geht es bergab, über Wurzeln und Stufen. Ich darf nicht wegrutschen und nicht stehen bleiben. Ich heule ununterbrochen, verliere andauernd fast das Gleichgewicht. Fühle mich hilflos. Da taucht die Hauptstraße auf und eine Bank. Ich setze mich hin und weiß, dass ich es nicht mehr zur Station schaffen werde. Ich schleppe mich noch zur Straße und verabschiede mich von den 2 Mädchen, die mit mir die gesamte Nacht gegangen sind. Sie haben mich motiviert und weiter gehen lassen. Gleichzeitig bin ich durch sie zu oft stehen geblieben. Aber die Motivation war entscheidend.

7 Uhr: An der Bushaltestelle warte ich auf meinen Abholdienst. Endlich komme ich auf die Idee, mal wieder etwas zu essen. Zu spät. Eine Stunde später liege ich endlich im Bett und weiß gar nicht, was am meisten weh tut.

Ein paar Stunden später: Auf Facebook sehe ich die ersten Erfomgsmeldungen aus dem Ziel. Die Enttäuschung in mir fängt an sich breit zu machen. Ich habe aufgegeben. Noch schlimmer wird es, als ich am selben Tag noch auf die Zugspitze fahre und merke, dass mein Kopf wieder in der Lage ist, stärker zu sein als die Schmerzen. Mir tat zwar alles weh, aber aufgegeben habe ich im Kopf. Vermutlich hätte mein Körper es geschafft. Aber ich habe aufgegeben. 600 Leute kamen ins Ziel, aber ich habe aufgegeben. Dass ich mein Ziel, den Sonnenaufgang erreicht habe, scheint nebensächlich. Ich möchte mich freuen, möchte Stolz sein, aber ich spüre nur Enttäuschung.

2 Tage danach: Meine Muskeln sind fast wieder fit, ich lerne damit zu leben, dass ich es nicht geschafft habe. 65 Kilometer in 15 Stunden ist eine grandiose Leistung. Ich gehe sogar mal wieder joggen und fühle mich energiegeladen und fit. Am liebsten will ich es nochmal versuchen. Noch dieses Jahr. Ich will es schaffen. Ich glaube jetzt, dass ich es schaffen kann. Vorher habe ich es nie wirklich geglaubt, aber jetzt glaube ich daran. Dass ich weiter gehen kann. Dass ich es irgendwann schaffen werde. Meine Motivation ist zurück, ich will mir beweisen, dass ich mit Niederlagen leben, aus ihnen lernen kann. Und es besser kann. Vielleicht melde ich mich sogar noch für einen Halbmarathon an. Ich dachte nie, dass ich das schaffen kann. Aber jetzt schon. Jetzt weiß ich, was mein Körper leisten kann, und was mein Kopf kann. Und wie viel mehr er noch kann, wenn ich an mich glaube und übe und geduldig bin.

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